Gudrun Schretzmeier
Ehrenfilmpreisträgerin 2011
Kostüm- und Bühnenbildnerin und Mitbegründerin des Theaterhauses Stuttgart
Mit dem ersten Baden-Württembergischen Ehrenfilmpreis zeichnete das Filmbüro Baden-Württemberg die renommierte Bühnen- und Kostümbildnerin Gudrun Schretzmeier aus Stuttgart aus. Die engagierte Geschichtenerzählerin mit der schwarzen Brille feierte 2011 ihren 70. Geburtstag. Gudrun Schretzmeier ist Stuttgart und dem Filmland Baden-Württemberg treu geblieben. Im Südwesten, bundesweit und international ist sie eine gefragte Persönlichkeit.
"Durch Reduktion den Charakter einer Figur zeigen"
Ehrenpreisträgerin Gudrun Schretzmeier im Gespräch mit Hans-Peter Jahn für den Katalog zur 17. Filmschau Baden-Württemberg 2011
Stoffe spielen in Ihrem Leben eine Hauptrolle. Für die neue SWR-Kino-Koproduktion ,Schwestern’ von Anne Wild kleiden Sie die Darsteller ein. Eines der Kostüme spielt sogar eine stille Hauptrolle.
Gudrun Schretzmeier: Eine junge Frau, erfolgreich in Beruf und Liebe, fasst den Entschluss: Ich geh’ in ein Kloster, werde eine Nonne. Ihre Familie haut es um. Am Tag der feierlichen Einkleidung kommen ihre Mutter und Geschwister in das schwäbische Kloster. Die jüngste Tochter zieht die weltliche Kleidung aus und legt die Nonnentracht an. Für mich ist das Kostüm eines Schauspielers seine zweite Haut. Man darf das Kostüm nicht spüren. Es sollte nur auffallen, wenn es dramaturgisch wichtig ist. Der Kostümbilder muss es schaffen, dass eine Rolle durch das Kostüm sofort eindeutig ist oder sich daraus eine Logik entwickelt. Ganz wichtig für mich als Kostümbildnerin ist dabei die Reduktion. Im Design hat Apple diese Philosophie ganz hervorragend umgesetzt. Es ist Reduktion, nicht Sparen. Das Kostüm darf in meiner Arbeit nicht nur einfach sein; sondern soll durch die Reduktion den Charakter einer Figur zeigen.
In diesem Fall also eine schlichte Nonnentracht?
Gudrun Schretzmeier: Ja. Schwarz ist nicht gleich Schwarz. Es gibt Schwarz in x-Tönen. Die Suche nach geeigneten Stoffen gestaltet sich immer schwieriger. In vielen Produktionen kommt noch der Kostenfaktor dazu, es ist nicht viel Geld da. Aber Jammern hilft nichts. Es ist eine Herausforderung. In ,Schwestern’ wollte ich auf keinen Fall eine Nonnenkleidung entwerfen, der man das Falsche gleich ansieht. Im Kloster Habsthal bei Sigmaringen habe ich mich inspirieren lassen. In der alten Klosteranlage leben nur noch fünf Nonnen, die das Gewand der Benediktinerinnen tragen. Eine Frage bleibt für mich offen: Eine echte Nonne wirkt in dieser Tracht immer anders als jemand, der nur mal reinschlüpft. Aber das geht jetzt wohl zu weit. (Sie lacht)
Gibt es für Sie als Kostümbildnerin einen Filmstoff Ihrer Träume, ein Wunschprojekt?
Gudrun Schretzmeier: Nein, nein, ein Traumstück gibt es nicht. Wichtig ist, dass die Chemie zum Regisseur stimmt, jeder sein Handwerk kann und wir die richtigen Bilder herstellen, denn Filmemachen ist immer Geschichtenerzählen. Es gibt Glücksmomente. Vor 20 Jahren machte ich für den Mittelalter-TV-Film ‚König der letzten Tage’ von Tom Toelle die Kostüme. Ich wollte für mich das Mittelalter neu definieren und stellte mir folgende Aufgabe: Wie lässt sich die Geschichte filmisch so erzählen, dass sie nicht nach Kostüm stinkt. Das Kostüm soll vielmehr ein Transportmittel sein, um etwas zu erzählen, das eigentlich modern ist. Regisseur Tom Toelle holte den Hauptdarsteller des oscarprämierten russischen Spielfilms ‚Urga’. Ein Gesicht, dem man eine Figur aus dem Mittelalter sofort abnimmt. Für ihn entwarf ich ein mittelalterliches Schlossergewand. Als dieser Schauspieler, der nur russisch sprach und noch nie zuvor im Ausland war, in das Kostüm stieg, verwandelte er sich in einen mittelalterlichen Schlosser. Er war so glücklich, dass er mich in den Arm nahm, mir etwas in Russisch sagte. Ich habe ihn nicht verstanden, aber gespürt, dass er meine Arbeit liebt. Das ist solch ein Traum, der wirklich wird. Eine Figur ist entstanden. In diesem Film spielte übrigens der damals junge Christoph Waltz mit.
Vom mittelalterlichen Schlosserkostüm mussten Sie mehrere Exemplare anfertigen. Ist das die Ausnahme oder die Regel?
Gudrun Schretzmeier: Eher die Re-gel. Im jüngsten Filmprojekt, den ‚Schwestern’, gab es fast alles drei Mal. Aber: Es gab kurzfristig eine neue Hauptdarstellerin, die erst eine Woche vor Drehbeginn zur Anprobe kommen konnte. Eine Neubesetzung heißt für mich: Ich muss alles neu erfinden. Von einem Moment auf den anderen. Nur meine Schneiderin mit ihren Engelshänden weinte plötzlich. Der neue Stoff ließ sich nicht verarbeiten. Auch diese Herausforderung wurde gemeistert. Einen Tag vor Drehbeginn war das neue Kleid für die Hauptdarstellerin einsatzbereit – allerdings hatten wir nur ein einziges Exemplar. Und prompt verdreckte es beim Drehen. Wenn so etwas passiert, dann zittere sogar ich. Aber auch dieser Fall wurde von der Kostümabteilung gelöst. Was wäre man ohne die wunderbaren Mitarbeiterinnen!
Sie kleiden auch Komparsen für Massenszenen ein?
Gudrun Schretzmeier: Für mich sind große Filme eine schöne Herausforderung. Da lebe ich richtig auf. Beim ‚Roten Baron’ musste ich bis zu 1000 Komparsen einkleiden. Und Schauspieler im Kostüm waren es beim ‚Roten Baron’ 100 Personen.
Historische Projekte faszinieren Sie?
Gudrun Schretzmeier: Die sind am spannendsten für mich als Kostümbildnerin. Ich recherchiere, was die Menschen damals getragen haben. Warum verwendeten sie bestimmte Farben und Materialien? Meine Kostüme entstehen aus der Logik der Dinge, die es zu jener Zeit gegeben hat.
Wie gehen Sie an ein neues Projekt heran? Gibt es für Sie als Kostümbildnerin Unterschiede zwischen Theater, Fernsehen und Kino?
Gudrun Schretzmeier: Zunächst lese ich den Stoff – das Drehbuch oder das Theaterstück. Es folgen die Gespräche mit dem Regisseur. Hab’ ich bei einem Regisseur Bedenken, lehne ich den Film ab. Es gibt Unterschiede zwischen Theater oder Film. Aber diese große Spanne macht den Beruf sehr interessant. Die kreativste Form ist das Theater, weil die Dramaturgie, die ich so gerne benutze, eine wichtige Rolle spielt. Lese ich ein Stück, erfinde ich für mich die Dramaturgie der Figuren. Im Theater mache ich neben den Kostümen auch das Bühnenbild. Beim Film reizen mich die Improvisationskunst, das andere Leben, andere Menschen, Städte, Länder und die Herausforderung, Dinge zu erfinden. Im Theater ist mein Umfeld berechenbar; beim Film gibt es in diesem Punkt nach oben keine Grenzen. Ballett und Tanz sind wiederum eine ganz andere, eigenständige, abstrahierte Welt.
Wie entstehen nun Kostüme?
Gudrun Schretzmeier: Geprägt hat mich in meinen frühen Anfängen meine Zeit bei der berühmten Kostümausstattung Theaterkunst in Berlin, die auch heute noch alle großen Filmprojekte ausstattet. Ich war Assistentin der Chefin, die früher für Brecht in der Kostümabteilung gearbeitet hat. Von ihr lernte ich, dass Figuren eine Dramaturgie haben. Ich zeichne keine Entwürfe. Viele gezeichnete Entwürfe zeigen dünne Figürchen, die mit den späteren Schauspielern überhaupt nichts zu tun haben. Das kann es nicht sein. Ich kam zu der Lösung, Kollagen anzufertigen. Aus meinem Archiv suche ich ganz viele Puzzleteile aus, aus denen ich die Richtung einer Figur zusammenstelle. Wenn ich mit Regisseurin beziehungsweise Regisseur gemeinsam an einer Figur die Farben, Art und Weise des Kostüms bestimmt habe, folgt die Werkstattzeichnung für die Fertigung. Die Schnitte entwickeln wiederum Spezialisten. Ich schneidere nicht selbst. In vielen Produktionen muss nicht alles neu angefertigt werden, da gibt es eine Mischung von Kostümen aus Atelier, Fundus und Neukauf.
Wie wird man heute Kostümbildnerin?
Gudrun Schretzmeier: Jungen Menschen rate ich: Lernt das Handwerk, geht in eine Schneiderei. Dann kann Euch später kein Mensch erzählen, der Schnitt „geht nicht” Wer sein Handwerk beherrscht, weiß auch, woher die Materialien kommen, welche Eigenschaften sie haben, wie sie sein müssen. Sucht nach einem Platz an der Akademie, macht eine Ausbildung und macht Assistenzen. Der Weg über die Praxis ist immer der bessere. Ich hab’ schon Leute erlebt, die aus der Modebranche schnell in die Filmbranche wechselten, kein Handwerk konnten und später ganz schön aufgesessen sind. Anfänger müssen durchhalten, sich die Freude am Beruf erhalten. Man spürt ja selbst am schnellsten, ob Wissen da ist. Mit Kleidern habe ich mich schon als Kind beschäftigt. Nach der Mittleren Reife verordneten mir meine Eltern eine Schneiderlehre. Damals im kleinen Schwarzwalddorf durften nur meine Brüder studieren. Anfang der 60er zog ich nach Paris, arbeitete in der Haute Couture bei Jacques Esterel. Die Mode war mir zu einseitig, so wechselte ich zu Theaterkunst nach München, leitete beim Südfunk die Kostümabteilung und machte mich schließlich selbständig. Ich arbeite für High und Low, Film, Fernsehen, Theater, Oper, Ballett und Tanz.
Welche Filmproduktion hat Sie aus der Ruhe gebracht?
Gudrun Schretzmeier: Meine Ruhe steht auf einem festen Boden: Fachwissen, Vorahnung, wo Fehler liegen könnten, Talent für Organisieren und Planen und gute Assistenten. Nur so kann man extreme Situationen meistern, wie sie beim Dreh von Playoff’ passiert sind. Die deutsch-französisch-israelische Koproduktion zeichnet das Leben von Ralph Klein – legendärer, israelischer Basketballcoach und in den 1980er Jahren Trainer der bundesdeutschen Basketball-Nationalmannschaft – nach. Dargestellt wird er von Dannv Huston. Für die Basketballteams brauchten wir Sportkleidung aus den 1980er Jahren in Übergröße. Kurz vor Drehbeginn kamen die Kostüme in Kartons an. Es war wirklich eine Katastrophe, was da ausgepackt wurde. Die Clubjacken waren Herrenmäntel. Zum Glück hatte ich auf Stand-by eine Herrenschneiderin, die dieses Malheur termingerecht ausbügeln konnte. Für den Dreh mussten wir in Italien die typischen 80er Jahre Sportlerstrümpfe stricken lassen und die angelieferten Sportschuhe mussten in der Waschmaschine nachgedunkelt werden. Wenn der Zuschauer von all dem nichts merkt, haben wir eine gute Arbeit abgeliefert.