Robert Schwentke
Ehrenfilmpreisträger 2017
Regisseur und Drehbuchautor
Der Stuttgarter Hollywood-Regisseur Robert Schwentke wird mit dem Baden-Württembergischen Ehrenfilmpreis 2017 ausgezeichnet. Zur Preisverleihung bei der 23. Filmschau Baden-Württemberg kommt er direkt von einem Filmfestival in Moskau. Danach fliegt der Erfolgsregisseur weiter zu seiner Familie nach Los Angeles, mit der er die Weihnachtszeit verbringen will. 2018 dreht Robert Schwenke einen neuen Hollywood-Film und im Frühjahr startet in den deutschen Kinos sein Leinwandwerk ‚Der Hauptmann’.
Robert Schwentke, 1968 in Stuttgart geboren, ist einer der wenigen Deutschen, die es in Hollywood geschafft haben. Als Regisseur von Filmen wie ‚R.E.D.’ (2010) mit Bruce Willis, Morgan Freeman, John Malkovich und Helen Mirren, ‚R.I.P.D.’ (2013) mit Jeff Bridges und Ryan Reynolds oder ‚Flightplan – Ohne jede Spur’ (2005) mit Jodie Foster feierte er Blockbuster-Erfolge. Weitere Hollywood-Produktionen sind ‚Die Frau des Zeitreisenden’ (2009) und die Jugendbuchverfilmung ‚Insurgent – Die Bestimmung’ (2015).
Der Weg nach Hollywood begann eigentlich im Alter von zehn Jahren im Keller des Elternhauses. Dort entdeckte er die Super-8-Kamera seines Großvaters. In der legendären Stuttgarter Filmgalerie 451 drehte er mit Frieder Schlaich 16-Millimeter-Filme und besuchte im Kommunalen Kino Stuttgart mit Vorliebe Retrospektiven. Nach vier Semestern Philosophie und Literaturwissenschaften in Tübingen wechselte der an das Columbia College Hollywood in Los Angeles. ‚Heaven!’ (1993) mit Hannes Jaenicke entstand während des Studiums. Ende der 1990er Jahre schrieb er Drehbücher für den ARD-Tatort. 2002 drehte er den deutschen Spielfilm ‚Tattoo’ mit Christian Redl und August Diehl, der in Amerika in Testscreenings zu sehen war und das Disney-Filmstudio auf den jungen Regisseur aus Deutschland aufmerksam machte. Nach der deutschen Tragikomödie ‚Eierdiebe’ (2003, Publikumspreis beim Filmfest Biberach) folgte der große Sprung nach Hollywood.
"Ich wollte Antworten auf die grossen Fragen"
Ehrenpreisträger Robert Schwentke im Gespräch mit Hans-Peter Jahn für den Katalog zur 23. Filmschau Baden-Württemberg 2017
Herzlichen Glückwunsch zum diesjährigen Baden-Württember- gischen Ehrenfilmpreis. Der Verleihung geht eine Master Class voraus. Schon aufgeregt?
Robert Schwentke: „In meiner Geburtsstadt Stuttgart mit dem Baden-Württembergischen Ehrenfilmpreis ausgezeichnet zu werden, ist eine besondere Ehre. Die Master Class ist eine Gelegenheit, handfestes Wissen, das an Filmschulen oft nicht ausreichend gelehrt wird, weiterzugeben. Wie bringt man als Regisseur einen Drehtag würdevoll zu Ende? Wie bereitet man sich überhaupt auf einen Drehtag vor? Wie geht man eine Szene an? Was ist Regie überhaupt?“
Du führst Regie in Deutschland und in Hollywood. Wie unterscheidet sich die Arbeit auf dem Set?
Robert Schwentke: „Als Regisseur ist der Arbeitsprozess in Deutschland und in Amerika eigentlich sehr ähnlich. In Hollywood gibt es natürlich mehr Geld, aber das Budget ist auch dort immer viel zu knapp. Ein großer Unterschied zu Deutschland: Oft legt das Studio den Termin für den Kinostart zuerst fest. Danach wird zurückgerechnet, um den Beginn der Dreharbeiten zu terminieren. So kann es zu Schnellschüssen kommen und der Regisseur muss mit einem noch unfertigen Drehbuch loslegen. Das ist mir auch schon passiert.“
In Hollywood werden die Drehbücher anders geschrieben?
Robert Schwentke: „Die Studios investieren sehr viel Zeit in Scriptdevelopment. Es werden keine Treatments geschrieben. In Deutschland wird immer noch mit Treatments für Drehbücher gearbeitet. Wir haben es mit zwei unterschiedlichen Gattungen des Schreibens zu tun. Treatments sind Prosa, also eher nüchterne Darstellungen; Drehbücher gehören zur Dramatik, den Texten mit verteilten Rollen. Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein Treatment gut in ein Drehbuch übersetzen ließ. Ich wünschte mir, dass man in Deutschland sagt, wir schreiben jetzt die erste Drehbuchfassung und dann die zweite, weil es einfach eine andere Arbeitsweise ist.“
Welchen Stellenwert haben in der Vorbereitung die Proben mit den Schauspielern?
Robert Schwentke: „Ich glaube an eine sehr gute Vorbereitung, auch mit Proben. Es ist einfacher, in Deutschland mit Schauspielern zu proben. In Amerika hatte ich schon lange nicht mehr den Luxus, für drei Wochen zu proben. Für den aktuellen deutschen Kinofilm ‚Der Hauptmann‘ war das möglich.“
Wie fühlt sich ein Regisseur aus Stuttgart, der plötzlich Hellen Mirren oder Bruce Willis dirigiert?
Robert Schwentke: „Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich mit Bruce Willis, Hellen Mirren und John Malkovich oder Max Hubacher, Frederick Lau und Milan Peschel drehe. Meine Arbeit als Regisseur besteht unter anderem auch darin, ein sicheres Umfeld für die Schauspieler zu schaffen, wo sie Dinge ausprobieren können, sich wohlfühlen und keine Angst haben, etwas falsch zu machen. Das wissen sowohl Alexander Fehling als auch Jodie Foster zu schätzen.“
Welche Freiheiten stehen Dir als Regisseur zu?
Robert Schwentke: „Ich habe zum Teil Drehlängen bis 85 Tage, und danach geht’s gleich weiter in die Postproduktion. Für den Schnitt habe ich – und zwar gewerkschaftlich garantiert – zwölf Wochen Zeit. Funktioniert in dieser Phase irgendwas nicht, suche ich mit dem Team eine Lösung. Wichtig ist, dass jeder einzelne – Studio, Produzenten, Darsteller, Technik – den selben Film machen will und auf dasselbe Ziel hinarbeitet. Was die Charakterführung, die Tonalität und alles Weitere betrifft. Auch der Zuschauer merkt sofort, wenn es nicht funktioniert, weil jeder Beteiligte im Grunde einen anderen Film machen wollte.“
Wie am Fließband entstehen momentan in Hollywood Fortsetzungen großer Kultfilme. Bleibt noch genügend Spielraum für Neues?
Robert Schwentke: „Das Studiosystem, wie es seit Jahrzehnten existiert, funktioniert nicht mehr. Die Menschen, die Entscheidungen treffen, wollen lieber Karriere als gute Filme machen. In den Studios arbeiten sehr intelligente, bestens ausgebildete Menschen, die ihre gesamte Intelligenz darauf ausrichten, im System zu überleben. Alle wollen Marvel machen und die meisten fallen damit auf die Nase. Die Bandbreite an Stoffen ist so schmal geworden, dass selbst ein King Arthur jetzt ein Superheld sein muss und in Gesprächen über Charaktere immer wieder die Frage auftaucht: What’s the character’s superpower? Ob es sich um einen Forscher oder einen Killer handelt, spielt keine Rolle. Hollywood ist mitnichten eine Industrie im eigentlichen Sinne. Wir verwenden ein ganz falsches Wort. Jeder Film ist anders — ein Prototyp. Die Idee von einer Art Fließbandarbeit trifft einfach nicht zu. Für die Hollywoodstudios muss allerdings alles immer noch größer sein, noch mehr einspielen. Jeder Film soll einen neuen Rekord knacken. Mal sehen, wie lange dieser Superhelden-Zyklus noch andauern wird. Filmhistorisch betrachtet weiß man, dass auch längere Zyklen irgendwann zu Ende gehen. Dann wird sich zeigen, was passiert.“
Kann das deutsche Kino von der Krise in Hollywood profitieren?
Robert Schwentke: „Es ist vermessen zu glauben, dass man mit Hollywood in Sachen Budget, Größe und Spektakel konkurrieren kann. Man kann aber hier Filme drehen, die durchaus besser sind als Filme aus Hollywood. Ich liebe französische Genrefilme. Frankreich leistet sich ein echtes Starkino mit Krimis im Kino oder Gangsterfilmen, die tatsächlich besser als Hollywood-Filme sind. Das funktio- niert deshalb, weil die Franzosen nicht versuchen, Hollywood zu kopieren. Sie bestehen darauf, das Genre mit einer eigenen Identität zu versehen. Was Frankreich macht, ist keine Antwort auf Hollywood. Es versucht nicht, sich an Hollywood zu orientieren oder davon abzusetzen. Das französische Kino existiert einfach. Und das ist der eigentliche Schlüssel. Das gilt auch für türkische und japanische Horrorfilme. Die Geschichten sind nicht anders, dafür aber ist die Art der Darstellung völlig anders. Es wird nicht kopiert, sondern gemacht, was dem kulturellen Kontext entspricht.“
Die deutsche Filmförderung steht in der Kritik. Zu Recht?
Robert Schwentke: „Die Chance im deutschen Kino ist die Filmför- derung. Ganz klar. Aber es sollten auch unangenehme, ungewöhn- liche und kantigere Filme zugelassen werden. Es sollten Talente kontinuierlich gefördert werden. Bitte, investiert in Talente, auch wenn mal einer oder zwei ihrer Filme nicht richtig funktioniert haben. Es muss eine Kontinuität bei der Arbeit geben. Nur so lernt man sein Handwerk. So entstehen auch Filme, die unter marktwirtschaftlichen Aspekten nicht gemacht würden. Wichtig ist natürlich die Regionalförderung, damit die Arbeitsplätze in der Branche konkurrenzfähig bleiben. Nur dann können internationale Produktionen in Deutschland bedient werden. Entscheidend ist eine Kontinuität in der gesamten Filmförderung.
Was erwartest Du vom Kino?
Robert Schwentke: Zum Kino bin ich nicht gekommen, weil ich Zerstreuung gesucht habe – ich wollte Antworten auf die großen Fragen. Ich freue mich, wenn mir ein Regisseur mit seinem Film einen ganz eigenen spezifischen Blick auf die Welt präsentiert. Seine Interpretation muss nicht meine Fragen beantworten. Wir sind so in unserer Subjektivität gefangen, dass es schön ist, daraus auszubrechen und zu sehen, wie jemand anderes die Welt empfindet, sieht und darstellt. Das ist mein Vergnügen am Film. Ich lasse mich vom Gehirn eines anderen bedienen.
Welche Rolle spielte für Dich das damalige Kommunale Kino in Stuttgart?
Robert Schwentke: „Von den besten Tagen des ehemaligen Kommunalen Kinos (KoKi) Stuttgart mit seinem extrem gut kuratierten Programm kann man heute sehr viel lernen. Es hat mir die Möglichkeit gegeben, Filmen zu begegnen, die ich unter normalen Umständen nie entdeckt hätte. Dort habe ich Rocha, Tarkovsky, Wyborny, Lynch, Edwards und Browning entdeckt. Meine Kinosozialisierung fand im Stuttgarter KoKi statt. Es geht nicht darum, immer nur Filme zu zeigen, die allen gefallen. Die Idee ist ja, dass man Leute mit Filmen konfrontiert. Es muss nicht alles gefallen. Nach der Schule bin ich damals für 1.50 Mark pro Film ins KoKi im Planetarium gegangen. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass es im Keppler-Saal keine richtige Kinobestuhlung gab. Wenn ein Film im KoKi lief, dann konnte er nicht so schlecht sein. Wo gucken denn die nächsten fünf Filmemacher aus Stuttgart heute kuratierte Filme? Im Internet gibt es zwar viele, aber längst nicht alle wichtigen Filme. Heute sollte ein KoKi von einem Intendanten geführt werden, der maximal fünf Jahre bleibt. So wird niemand der Sache müde. Ich werde oft von jungen Filmbesessenen um Filmtipps gebeten – auch Filme aus der dritten und vierten Reihe. Es wird eine Weile dauern, aber ein neues KoKi in Stuttgart wird sein Publikum finden.“